Lernen mit TikTok!
Oder: Warum wir Anstrengung nicht einfach wegwischen können

Was Microlearning leisten kann und wo wir seine Möglichkeiten oft überschätzen.

Der Gedanke ist verführerisch: Häppchenlernen, zwei Minuten Video, drei Schaubilder, ein kurzer Aha-Moment zwischen zwei Meetings und schon ist man ein Stück kompetenter.

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Jeder kennt es so oder so ähnlich: Man schaut sich ein kurzes Video mit dem Titel „Sauerteig in drei einfachen Schritten“ an. 90 Sekunden, anschauliche Bilder und eine einfache Anleitung und schon hat man das Gefühl, alles verstanden zu haben. 

Ein paar Tage später steht man dann in der Küche mit Mehl, Wasser und einem Glas und versucht, den Teig aus dem Gedächtnis nachzubauen. Heraus kommt dann meist etwas ganz anderes, als das knusprige Brot aus dem Video.

Was Microlearning verspricht: Lernen im Fluss des Alltags, niedrigschwellig und effizient.

Was dabei aber oft übersehen wird: Lernen ist nicht gleich Konsumieren.

Die Illusion ist perfekt: Verstehen ist eben nicht dasselbe wie Können.

Dieses kleine Beispiel verdeutlicht ein großes Problem beim Lernen: Unser Gefühl sagt uns oft, wir hätten etwas verstanden. Die Lernpsychologie kennt dieses Phänomen nur allzu gut: Wir verwechseln das Verstehen im Moment leicht mit echtem Können im Handeln.

Genau hier setzt die Forschung an. Damit Wissen wirklich abrufbar wird, reicht es nicht aus, Inhalte nur oberflächlich und ohne Anstrengung zu konsumieren. Im Gegenteil, wir brauchen Reibung. 

In der Wissenschaft spricht man von „Desirable Difficulties“ (wünschenswerten Erschwernissen): Lernbedingungen, die zwar anspruchsvoller sind, aber das Erinnern und Anwenden genau dadurch stärken.

Das klingt paradox, heißt aber, Lernen braucht Anstrengung. Nur wenn wir unser Gedächtnis fordern, bauen wir wirklich stabile Wissensnetze auf.

Die folgenden wünschenswerten Erschwernisse sind empirisch besonders gut belegt: 

  • Spaced Repetition: Wiederholung mit Abstand stärkt die Erinnerung mehr als geballtes Lernen der Inhalte am Stück.

  • Active Retrieval: Wer Wissen aktiv abruft (statt nur nachzulesen), festigt es tiefer.

  • Testing Effect: Selbst kleine Tests oder Quizze verstärken den Lernerfolg deutlich stärker als bloßes Wiederholen, weil sie das Erinnern trainieren.

Was das für die Gestaltung von Lernen bedeutet

    • Impulse statt trügerische Illusionen: Kurze Lernhäppchen dürfen nicht mit „Lernen erledigt“ verwechselt werden. Sie sind der Startpunkt, nicht das Ziel.

    • Aktivieren statt nur konsumieren: Lernformate sollten Gelegenheiten zum Abrufen, Anwenden oder Testen enthalten, sonst bleibt Wissen oberflächlich.

    • Marathon statt Sprint: Statt Inhalte in einer einmaligen, großen Menge zu präsentieren, ist es sinnvoll, sie in Abständen wiederkehren zu lassen (Spacing).

    • Mix statt Monotonie: Denn nur unterschiedliche Formate, Fragen und Praxisaufgaben, selbst kleine Variationen, machen den Unterschied.

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Zusammengefasst lässt sich festhalten: 

Micro-Learning verführt uns oftmals durch seine Einfachheit und genau darin liegt auch seine Gefahr. Als Impulsgeber, Gedächtnis-Update oder kleiner Denkanstoß ist Micro-Learning sehr gut geeignet. Es bleibt jedoch immer nur ein Baustein. Unser eigentliches Lernen passiert erst, wenn wir das Gesehene ins Handeln bringen und uns dabei möglichst vielen „wünschenswerten Erschwernissen“ stellen.

Echter Kompetenzaufbau braucht Zeit, Wiederholung, Anwendung und Reflexion. Ein 90-Sekunden-Video kann Interesse wecken, aber nicht die Erfahrung ersetzen, die wir durch eigenes Tun und Handeln gewinnen.

Vielleicht ist die entscheidende Frage nicht: „Wie kurz können wir Lernen machen?”, sondern: „Welche kleinen Stolpersteine machen es stark genug, um zu bleiben?”